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Hurra, wir bekommen ein Baby? Oder: Oh ha, ich bin schwanger!

Anfang 2020! Ein positiver Test, dann noch einer. Und nein, ich meine keinen Corona-Test, wie er in diesem Jahr üblich werden wird, sondern einen Schwangerschaftstest. Der erste lag schon lang in meinem Badezimmerschrank, inzwischen in der hintersten Ecke.

Als in dem kleinen Fenster der blaue Balken erscheint, lese ich noch einmal nach. Dann noch einmal. Positiv. Ich bin schwanger. Oh man. Ich muss mich erst einmal setzen, rutsche langsam an der gefliesten Außenwand der Duschkabine herab und auf den warmen Fußboden. Fußbodenheizung, welch ein Luxus. Ich starre den Test an. Wow, wir bekommen ein Baby. Vielleicht. Ich weiß nicht, wie weit ich schon bin, aber ich weiß, dass es sehr einfach ist, ein Kind zu verlieren. Ganz automatisch driften meine Gedanken zu dem kleinen Sternenkind, was letztes Jahr zu genau der gleichen Zeit in meinem Bauch war, zu der kleinen Linse, wie wir sie genannt haben, weil sie zu dem Zeitpunkt nicht größer als eine eben solche war. Als nächstes denke ich an meine Chefin, meinen Job, meinen Boss. Mein Magen krampft sich zusammen und instinktiv halte ich mit der flachen Hand meinen Bauch. Das ist gerade der denkbar ungünstigste Zeitpunkt um schwanger zu sein. 

 

Am nächsten Morgen nehme ich eine Bahn früher zur Arbeit. Im Nachbargebäude befindet sich eine Apotheke. Vorsichtig betrete ich den Laden, damals noch ohne Mund-Nasen-Bedeckung. Wie verfolgt drehe ich mich immer wieder um, bevor ich an den Verkaufstresen trete.

"Guten Morgen! Was kann ich für Sie tun?", fragt die nette Apothekerin. 

Wieder drehe ich mich um. Niemand hier außer mir, der Apothekerin vor mir und ihrer Kollegin: "Ich brauche einen Schwangerschaftstest", flüstere ich und beuge mich dabei über den Tresen. Sie verzieht keine Miene: "Möchten Sie einen mit Wochenbestimmung oder reicht ein einfacher Test? Ich habe einige hier. in jedem Fall aber würde ich Ihnen ein Doppelpack empfehlen. Die Tests sind sehr sicher aber es ist doch immer noch mal besser, wenn man zwei macht, um ganz sicher..."

Ich unterbreche sie: "Pssst...ja, ich habe schon einen...ich brauche einfach...bitte. Einen einfachen Test. Die Wochen sind egal."

Ein weiterer Kunde betritt den Laden und steuert schnurstracks die Kollegin der Apothekerin an, die mich gerade bedient. Mein gegenüber schiebt mir einen Test über den Tresen: "Dann also dieser hier". Noch ohne ihn bezahlt zu haben wandert der Test in meinen Rucksack. Ganz tief nach unten. Danach bezahle ich und gehe. Ob ich einen Kassenbon haben möchte? Nein, bloß nicht, das ist ein Beweismittel und dann habe ich schwarz auf weiß irgendwo zu stehen, dass ich einen Schwangerschaftstest gekauft habe.

Wir bekommen ein Baby 

 

Gestern Abend in der Küche erzählte ich meinem Mann geistesabwesend, fast schon beiläufig, dass ich schwanger sei. "Was?", fragte er und lange sahen wir uns einfach nur an. "Das geht jetzt nicht, Ben."

"Ich weiß", antwortete er und nahm meine Hand. Nach einigen weiteren Minuten der Stille sagte er dann: "Oh mein Gott, wir bekommen ein Baby?" Ich nickte. Als er das sagte, gab es zum ersten Mal diesen kurzen Moment der Freude. Wie ein kleiner, kurzer Blitz durchzuckte sie meinen Körper: "Ich mache morgen noch einen Test, dann wissen wir es genau."

 

Aus morgen wurde übermorgen, denn den Test sollte man frühmorgens machen, dann ist er am genausten. Das hängt mit dem Morgenurin zusammen. Und ja,  auch dieser Test ist positiv. Auf dem Weg zur Arbeit gehe ich unzählige Gesprächsszenarien mit meiner Chefin durch. Alles dreht sich, mein Kopf ist nahe dran zu explodieren. Ich steige sogar eine Station zu früh aus, bemerkte den Fauxpas aber rechtzeitig und springe zurück in die Bahn, bevor sich die Türen schließen. Von der Haltestelle zu meiner Arbeit habe ich einen Fußweg von nicht einmal zwei Minuten. Diese Zeit muss reichen, um bei meiner Gynäkologin anzurufen und mir einen Termin geben zu lassen. Anders als sonst, hebt die MFA nach dem ersten Klingeln den Hörer ab. Ich stammle etwas von meinen zwei positiven Tests und davon, dass ich wohl schwanger sein müsste, was ich denn nun tun solle und bekomme meinen Termin. In zwei Wochen. So schnell habe ich noch nie einen Termin bei meiner Frauenärztin bekommen.

Als wir auflegten, zwinge ich mir ein Lächeln auf's Gesicht. "Bloß nichts anmerken lassen", denke ich. Eigentlich will ich es meinem Arbeitgeber sofort sagen. Will absolut fair sein. Denke sogar über eine Kündigung nach, um ihnen kein Klotz am Bein zu sein: "Ich kriege das schon hin. Das klappt auch ohne Job. Mache ich mich eben wieder selbstständig." Andererseits will ich aber unbedingt den Termin bei meiner Ärztin abwarten. Immer noch könnte es falscher Alarm sein und immer noch könnte ich auch dieses Kind wieder verlieren. 

 

Der ungünstigste Zeitpunkt für ein Baby

 

Warum ich mir so einen Stress wegen der Arbeit mache? Na ja, ich bin gerade seit zwei Monaten in einem neuen Job. Befristet auf ein Jahr. Als Schwangerschaftsvertretung. Ich bin also die schwangere Schwangerschaftsvertretung, der Schreck aller Arbeitgeber, das Paradebeispiel dafür, wie es nicht laufen sollte, die Inkarnation eines Klischees und der Grund, warum viele Unternehmen mich, trotz meiner sehr guten Qualifikationen nicht einstellten wollen: „Sie ist 30 und verheiratet. Sie kriegt sicher in den nächsten Jahren ein Kind, wenn sie nicht sogar schon schwanger ist. Dann haben wir sie gerade eingearbeitet und dann steigt sie aus, kostet uns nur Zeit und Geld und macht es sich obendrein auf unsere Kosten gemütlich“. Das ist unfassbar diskriminierend. Es sind nun mal wir Frauen, die die Kinder kriegen. Es sind wir Frauen, in denen eure Nachkommen heranwachsen. Ihr seid dazu nun einmal nicht in der Lage. Und dennoch werden wir dafür abgestraft. Mit schlechter Bezahlung, schlechteren Jobs, keinem Zugang zur Führungsebene u.s.w. Aber gut, das ist ein vollkommen anderes Kapitel. 

Nun bin ich also schwanger. Nachdem wir mit der Kinderplanung - die so en Detail eigentlich gar nicht bestand - abgeschlossen hatten. „Wir haben doch uns. Wir haben ein so gutes Leben. Man braucht nicht unbedingt Kinder, um glücklich zu sein. Wir lieben uns und können dieses wunderschöne Leben, was wir eh schon mehr auskosten als viele andere doch einfach noch mehr genießen. Das Wichtigste ist, dass wir uns haben, dass wir zusammen sind. Dann ist alles andere auch egal.“, sagt mein bester Freund, der gleichzeitig auch mein Mann ist Ende Oktober, als feststeht, dass ich diese neue befristete Stelle annehmen werde. Als feststeht, dass ich aus dem unbefristeten Arbeitsvertrag bei einer PR-Agentur bei mir um die Ecke austrete, um zukünftig etwa eine Stunde zu meinem neuen Arbeitgeber zu pendeln, der sich um mich, nicht ich mich um ihn, bemüht hat. Ich kann noch nicht so final mit dem Thema abschließen, will nichts so kategorisch ausschließen, obwohl ich nie Kinder wollte, sich dieser Wunsch - oder wohl eher das Wünschlein -  erst in den letzten zwei, drei Jahren entwickelt hat. Dennoch liege ich bei dem Mann, den ich geheiratet habe, in den Armen und liebe ihn für das, was er gerade gesagt hat. „Okay“, denke ich mir, „dann also vielleicht kein Kind. Auch gut.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen schlafe ich ein. 

 

Im Dezember fange ich den neuen Job an. Ich habe tolle Kollegen, ein super Team. Es geht mir gut. Ich nehme eine Weihnachtsfeier nach der anderen mit. Fast exzessiv wird gefeiert und getrunken. Ich weiß nicht, dass ich schon schwanger bin. 

 

Aber nun weiß ich es. Die Schwangerschaftstests, meine Frauenärztin und meine Hosen bestätigen es mir. Ich bin in der 13. Woche als ich mit meiner Chefin spreche und ich bin in der 11. Woche bei meinem neuen Arbeitgeber. Meine größte Angst: Sie könnten denken ich habe das absichtlich „getan“. Wobei „getan“ hier das falsche Wort ist, denn „getan“ habe ich diese Schwangerschaft nicht. Ein Gedanke, der mich mindestens ebenso sehr quält ist, dass sie enttäuscht von mir sind. Ich lasse sie im Stich. Bin ich doch diejenige, die eigentlich nur da ist, um jemand anderes zu vertreten, um ihre Arbeit aufzufangen, meine neuen Kollegen zu unterstützen, und nun kann ich diese Aufgabe nicht erfüllen. Ich enttäusche diejenigen, die auf mich gesetzt haben, bereite ihnen zusätzlich Umstände dadurch, dass sie nun eine Vertretung für ihre Vertretung suchen müssen. Aber alle reagieren toll. Sie freuen sich für mich und mir fallen gleich ein Dutzend zentnerschwere Steine vom Herzen.

 Aus dem "Oh ha" wird ein "Hurra"

 

Die Freude über dieses Baby kommt immer in Schüben. Zum Beispiel, als ich bei der Frauenärztin bin, die mir bestätigt, was der Bluttest vorher schon ergeben hatte. Auf dem Ultraschallbild kann ich nicht viel erkennen, doch dann macht sie den Ton dieses speziellen Ultraschall-Gerätes an und da klopft ganz schnell ein kleines Herz. Poch, poch, poch, poch... Und auf einmal klopft auch mein kleines Herz ganz schnell und laut und mir schießen die ersten Tränen in die Augen. Das ist das Herz meines Babys. 

 

Als ich mich in Unterwäsche seitlich vor den Spiegel stelle und die klitzekleine Wölbung in meiner Mitte begutachte, wird mir plötzlich klar, dass sich meine Bauchdecke dort schützend über etwas ganz Besonderes legt. Über das Besonderste überhaupt. Langsam wird mir bewusst: In mir wächst ein kleiner Mensch. 

 

Immer wieder fahre ich in den kommenden Wochen und Monaten unbewusst mit den Händen über meinen Bauch, lege sie schützend darüber, versuche Kontakt aufzunehmen, den kleinen Kerl zu spüren. Und ja, ich spüre ihn, sachte, zaghaft, dann immer mehr. Eines abends ist er so aktiv, dass es so aussieht, als würde ein kleiner Alien in meinem Bauch einen Tanz aufführen. Tanzen, das tut er gerne, und er liebt es, wenn ich tanze, dann macht er mit, wirft sich in seiner Höhle hin und her. Im Mai liege ich in der Sonne auf der Terrasse und lasse mir ebendiese auf den nackten Bauch scheinen. Ich weiß nicht, ob es das gleißend helle Licht ist, die Wärme oder vielleicht beides was ihn animiert, aber er tritt wieder, diesmal so sehr, dass auch sein Vater das Spektakel bestaunen kann. Der kleine Junge wird realer und realer.  

Ich bin nicht gerne schwanger

 

Ich bin nicht gerne schwanger. Ja, richtig gelesen. Abgesehen, von diesen kleinen, wunderschönen Momenten, in denen ich mein Baby spüre, es in mir sehe, bin ich einfach nicht gerne schwanger. Ich bin dafür nicht gemacht [Notiz an alle Klugscheißer: Mir ist bewusst, dass ich als Frau, rein evolutionär betrachtet natürlich genau dafür gemacht bin. Aber wir leben nicht mehr in einer Höhle in grauer Steinzeit und meine Daseinsberechtigung ist heutzutage glücklicherweise nicht mehr abhängig davon, ob ich Kinder bekomme oder nicht]. Ich liebe mein Baby, liebe jede seiner Bewegungen, jeden Tritt, seinen nie enden wollenden Schluckauf, aber ich gehöre nun mal nicht zu den Frauen, die es schön finden schwanger zu sein. Mein Körper verändert sich in einem Ausmaß, dass ich nicht kenne. Ich bin kurzatmig, kann nicht so schnell laufen, wie ich gerne möchte. Das Fahrradfahren mit dem Rennrad muss ich schon bald aufgeben. Der kleine Junge in mir mag es gar nicht, wenn ich mir in den Bauch trete, der ist auf dem Fahrrad nun einmal aber im Weg. Ich bin im 5. Monat, als wir mit den Rädern 20 Kilometer weit den Deich entlang radeln. Auf dem Rückweg tut mir der Bauch weh, ich kann nicht mehr, komme nur mäßig gegen den Wind an, der den Schafen beinahe die Locken wegpustet. Immer wieder muss ich absteigen. Irgendwann gebe ich resigniert auf. Laufe den Rest der Strecke nach Hause. Ich bin gefrustet. 

 

Der Verzicht auf Alkohol und einige Lebensmittel stört mich überhaupt nicht. Diese Einschränkungen sind absehbar. Aber das Gefühl, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren macht mich fertig.

 

Unsere im Juni geplante, vorerst letzte, Reise zu zweit - es sollte durch Bosnien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien gehen - wird wie so vieles Corona-bedingt abgesagt. Die Alternative: Familienbesuch quer durch Deutschland und die Schweiz. Wir gehen viel wandern, das geht alles und ich besteige auch im 7. Monat noch den ein oder anderen Berg in den Schweizer Alpen, aber es geht eben nicht so, wie ich gerne möchte. Ich brauche länger, benötige mehr Pausen, darf, kann und will kein unnötiges Risiko eingehen.  Am Ende des Tages habe ich immer mal wieder Wasser in den Beinen und geschwollene Füße. Die Haut am Bauch ist zum bärsten gespannt und die Iliosakralgelenke - hier sprechen fälschlicherweise immer viele vom Steißbein - tun mir sicher jeden Tag weh. Ich weiß, auch das ist alles absehbar, aber es ist nicht nach 40 Wochen auf einmal wieder alles gut. Der Körper braucht auch danach seine Zeit, um sich zu erholen und letztlich wieder zu alter Form und Fitness zurück zu finden. Und ja, ich gebe zu, Angst davor zu haben, wie sich mein Körper nach der Schwangerschaft und nach der Geburt wohl nachhaltig verändern wird. Was bleibt zurück, was bildet sich zurück? Das sind Fragen, die ich mir stelle. Und es ist mein gutes Recht, mir diese Fragen zu stellen, denn es ist mein Körper und das ich diesen wieder haben will, ist nichts Verwerfliches. Aber als ich das bei Instagram poste, bekomme ich eine böse Nachricht nach der anderen. Der Tenor aller: ich soll mich nicht so haben, mein Körper vollbringt gerade ein Wunder, dafür soll ich ihn gefälligst lieben und mich nicht beschweren. Ich widerspreche, denn ich möchte mich beschweren dürfen. Ich fühle mich nicht gut, sehe nicht ein, nur weil ich damit nicht dem Zeitgeist von "positive mindest" etc. entspreche, meinen Mund halten zu müssen. It's okay, not to be okay! Die Quittung kommt schnell. 60 Follower in wenigen Tagen verloren. Bei meinem schmächtigen Account ist das eine ganz schöne Ansage. Okay, was soll's. Mit Baby habe ich sowieso keine Zeit mehr für Follower, Instagram und Co. Also sehne ich jetzt dem Moment entgegen, wenn er endlich da ist und wir gemeinsam diese Welt erkunden können.

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