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Simone - Vom Reisen im Rollstuhl und dem Glauben an sich selbst

Simone gibt Reisetipps auf Instagram und berichtet von ihrem Unterwegssein auf YouTube. Das ist erst einmal nichts besonderes, aber: Simone sitzt im Rollstuhl. Sie gibt also nicht einfach nur Tipps, wo man hier und da gut essen kann oder wo die schönsten Wanderwege durch die Zentralschweiz führen, Simone macht aufmerksam, Simone gibt Hilfestellung und vor allem: Sie motiviert andere Menschen, die durch eine Behinderung körperlich eingeschränkt sind, sich dieser Einschränkung nicht hinzugeben, sich ihr nicht zu unterwerfen, sondern hinaus zu gehen in die Welt und Dinge auszuprobieren.

 

Simone ist das Gesicht einer Kampagne von Aktion Mensch, die mutige Frauen und Männer vorstellt, die andere Menschen motivieren. 2020 war die 27-jährige Stuttgarterin sogar bundesweit als Wow-Frau auf Plakaten abgedruckt. Simones Geschichte bewegt und deshalb habe ich sie gebeten, uns daran teilhaben zu lassen. 

 

Simone, wie war das für dich, als du am Bahnhof plötzlich neben einem großen Plakat von dir in einem Schaukasten saßt?

Es war total komisch, eine Mischung aus peinlich berührt und zugleich ein wenig stolz, dass ich überhaupt auf so einer Werbetafel erscheine. Tatsächlich hat mich zuerst eine Bekannte erzählt, dass sie mich auf einem Bild am Bahnhof gesehen hätte. Daraufhin bin ich zum Hauptbahnhof gefahren und habe mich vor einer dieser Werbetafel platziert. Es hat dann eine gute halbe Stunde gedauert, bis ich mich auf dem Display sehen konnte. Aber das Warten hat sich gelohnt, denn mal ehrlich, wer kann von sich behaupten, groß auf einer Werbetafel abgebildet zu sein?

Du motivierst andere Menschen, die durch körperliche Gegebenheiten eingeschränkt sind, sich davon nicht zu sehr einengen zu lassen, so viel zu machen, wie irgend geht. Warum tust du das?

Als ich anfangs im Rollstuhl saß, hatte ich einen sehr tunnelmäßigen Blick. Ich bin davor immer wahnsinnig gerne gereist, aber die Kombination Reisen und Rollstuhl ging einfach nicht für mich. Ich wusste nicht was für Möglichkeiten es gab und bin einfach davon ausgegangen, dass Reisen beziehungsweise fliegen im Rollstuhl unmöglich sei. Eine Bekannte, die selber im Rollstuhl saß, redete lang auf mich ein, ich solle es „einfach ausprobieren. Was soll schon passieren?“ Im Nachhinein bin ich so dankbar, dass sie mir damals diesen Schubser gegeben hat. Dadurch habe ich meine aller erste Fernreise im Rollstuhl gewagt. Und diese Reise hat mir die Augen geöffnet und gezeigt, dass es so viele Möglichkeiten gibt auch im Rollstuhl zu verreisen. Jetzt möchte ich einfach, wie diese Bekannte, anderen Leuten das nötige Etwas mitgeben, damit sie sich ebenfalls trauen.

 

Bist du ein Vorbild für andere?

Ich sehe mich jetzt selbst nicht als Vorbild, sondern eher als jemanden, der Anderen die nötigen Informationen an die Hand geben möchte. Ich finde es wichtig, mein Wissen über die existierenden Möglichkeiten mit anderen zu teilen und ihnen so vielleicht die Angst vor dem Ungewissen zu nehmen.

 

Es klang schon durch, du sitzt nicht von Geburt an im Rollstuhl. Was ist passiert?

Zwei Monate vor meinem 18. Geburtstag erlitt ich eine Gehirnblutung aufgrund eines Aneurysmas. Da hatte ich aber enormes Glück im Unglück - denn eigentlich war ich mitten in den Vorbereitungen, die Harbor Bridge in Sydney zu beklettern. Die Kletterausrüstung hatte ich bereits angelegt und in wenigen Minuten sollte es losgehen, hätte ich nicht extrem starke Kopfschmerzen gehabt, die dazu führten, dass ich ohnmächtig wurde.

 

Das wäre sonst auf der Brücke passiert?

Vermutlich, und wer weiß, wie das ausgegangen wäre.

 

Wie lange hast du gebraucht, um dich in der neuen Situation zurecht zu finden?

Lange! Auch heute habe ich immer mal wieder Tage, wo ich mich sehr schwer damit tue. Aber ich versuche immer das Beste daraus zu machen und lieber die positiven Seiten des Lebens zu sehen. Rumsitzen und schmollen bringt ja niemanden weiter.

 

Simone lächelt und es klingt, als hätte sie sich diesen Spruch häufiger anhören müssen. 

Hat dir das Reisen geholfen, besser mit den neuen Lebensumständen klar zu kommen?

Auf jeden Fall. Ich wachse mit jeder weiteren Reise. Ich traue mir auch immer mehr zu, weil ich weiß, was alles möglich ist. Ich werde weniger ängstlich, kann Situationen viel besser einschätzen und weiß auch für mich selber, dass ich irgendwie immer einen Weg finden kann. Ich glaube, dass das Reisen einen dazu befähigt, flexibel und offen für neue Erfahrungen zu werden.

 

Auf Instagram und YouTube berichtest du beispielsweise sehr ausführlich davon, wie es ist, mit Rollstuhl zu fliegen. Geht es dir dabei eher darum, andere Menschen dafür zu sensibilisieren, welchen Aufwand eine solche „Kleinigkeit“ wie das Fliegen für Menschen mit Behinderung bedeutet, oder ist es doch eher das Motivieren anderer Rollstuhlfahrer:innen?

Für mich ist es eher der Aspekt des Helfens. Ich möchte einfach andere Menschen mit Behinderungen unterstützen und zeigen, wie bestimmte Vorgänge für mich als Rollstuhlfahrer funktionieren. Dass ich nebenher andere Menschen für das Thema sensibilisiere, ist einfach ein schöner Nebeneffekt.

Du warst vor Kurzem in Portugal surfen. Erzähl doch mal davon. 

Letztes Jahr habe ich auf Instagram eine Anzeige zum barrierefreien Surfen gesehen. Ich habe lange gezögert und stand im Konflikt mit mir selber. Einerseits war da wieder die Unsicherheit, wie das alles mit der Behinderung und dem Rollstuhl funktionieren sollte, aber andererseits war da auch die Neugier und Abenteuerlust. 

 

Also „einfach machen“?

Ja! Schlussendlich hatte ich mich zu dem Kurs angemeldet und war völlig begeistert, so dass ich dieses Jahr zum zweiten Mal am Surfkurs teilgenommen habe. Der Kurs findet in Kooperation mit einem portugiesischen Surf-Club statt, der Erfahrung mit Menschen mit Behinderung hat. Dementsprechend waren die Portugiesen bestens auf die Teilnehmer eingestellt. Anfangs war mir gar nicht klar, wie ich das anstellen sollte. Ich dachte ich würde einfach nur auf dem Surfbrett sitzen… irgendwie. Aber es hat sich herausgestellt, dass man hauptsächlich im liegen surft und das ging ganz gut.

 

Hattest du einen Instructor, einen Ansprechpartner, der sich nur auf dich konzentriert hat?

 

Die Menschen vor Ort sind super kreativ und versuchen mit dir alles mögliche, um das Surferlebnis so angenehm wie möglich zu gestalten. Während meiner Woche dort hatte ich einen individuellen Coach der auf all meine Bedürfnisse einging. 

Ein weiteres großes Abenteuer war das Paragliden auf Teneriffa. Wie hast du das erlebt? 

Teneriffa ist eine sehr barrierefreie Insel und man findet viele Rollstuhlfahrer dort. Es ist kein Wunder, dass das barrierefreie Angebot dementsprechend auch sehr groß ausfällt. 

 

Trotzdem, auch was das Paragliden anging, war ich anfangs sehr zögerlich. Mir schossen 1.000 Fragen durch den Kopf: „Wie funktioniert das? Ist das nicht etwas zu aufregend? Was wenn ich abstürze? Könnten meine Beine spastisch werden? Wie funktioniert das überhaupt, ich kann doch meine Beine gar nicht anziehen!“ Irgendwann dachte ich mir dann: „Now or never“. Man lebt ja schließlich nur einmal. Allerdings muss ehrlich zugeben, dass ich kurzzeitig darüber nachgedacht habe, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Nur zur Sicherheit, falls doch etwas passiert.

 

Wie wird so ein Abenteuer für eine Rollstuhlfahrerin ermöglicht?

Der Paragliding-Anbieter holt dich direkt am Hotel ab und fährt mit dir zum Absprungort. Wenn ich mit dem Rollstuhl nicht weiterkam, wurde ich anstandslos getragen. Das Team war super nett und alle halfen, wo immer es ging. Beim Paragliden selbst wurde ich in eine Art Seifenkiste gesetzt und diese wurde wiederum am Schirm fixiert. Für mich als Rollstuhlfahrerin, war das total angenehm. Ich musste absolut nichts machen, konnte einfach nur dasitzen und genießen. 

 

Das klingt traumhaft, so als solltest du es wiederholen.

Das habe ich. Einige Jahre später war ich wieder auf Teneriffa, und auch da habe ich mir die Chance nicht entgehen lassen, nochmal paragliden zu gehen. Diesmal hatte ich einen anderen Anbieter gefunden, der keine Seifenkiste, sondern eine Trage hatte, auf der ich aber ebenfalls saß. Für mich gingen beide Optionen in Ordnung! Auf jeden Fall kann ich aber sagen, dass beide Teams sehr motiviert waren, eine Sache möglich zu machen.

Dein wichtigster Tipp für das Reisen im Rollstuhl?

Sich informieren und bei Problemen cool bleiben und improvisieren. Ich denke, es ist wichtig zu wissen, dass jederzeit etwas schief gehen kann, dass das aber kein Grund ist, um in Panik zu verfallen. Recherche, vorbereitet sein, ist das wichtigste was ein Rollstuhlfahrer machen kann, wenn er verreisen möchte. Zum Beispiel gibt es oft Sehenswürdigkeiten, die gar nicht barrierefrei sind. Und dann ist es gut, wenn man das im Voraus weiß und nicht umsonst hinfährt.

 

Glaubst du, dass Menschen mit Behinderung jede Reise machen können, dass vielleicht alles nur eine Frage der Organisation ist? Oder gibt es Grenzen? Standest du persönlich schon einmal vor einer unüberwindlichen Herausforderung?

Ich wünschte, dass Menschen mit Behinderung alle möglichen Reisen machen könnten, aber leider gibt es tatsächlich immer wieder Grenzen. Ich selbst, konnte zum Beispiel auf Teneriffa nicht mit einer Seilbahn auf den Teide hochfahren. Denn im Falle einer Evakuierung muss man vom Teide herunterwandern/-klettern können. Und so durfte ich, einfach aus Sicherheitsgründen, nicht auf den Teide hochfahren. Oder in Griechenland auf Rhodos, da gibt es die bekannte Anthony-Quinn-Bucht. Die konnte ich auch nicht sehen, weil es einfach schwierig ist, mit dem Rollstuhl zur Bucht zu gelangen. Vieles geht, aber leider nicht alles. Dessen muss man sich bewusst sein.

 

Was ist dein größter Traum? Was würdest du gerne noch mal sehen? Wohin würdest du gerne reisen?

Mein größter Traum ist, alle Länder der Welt gesehen zu haben. Jede Kultur ist so einzigartig und interessant, deswegen liebe ich ja auch das Reisen. Und auch Länder die ich vor meiner Gehirnblutung gesehen hatte, würde ich jetzt gerne noch mal mit dem Rollstuhl besuchen. Ich bin mir sicher, da wirkt das Land wieder ganz anders auf mich. Es gibt noch so viel für mich zu entdecken. Zu gerne würde ich mal die Polarlichter sehen, Skandinavien, aber auch die Karibik, natürlich den Flitterwochen Platz Nummer eins: die Malediven, Indonesien…du siehst, ich möchte einfach die ganze Welt entdecken.

 

Wo, würdest du sagen, fehlt es noch an Barrierefreiheit? Was kann, sollte oder muss besser funktionieren?

Wo es definitiv an Barrierefreiheit, zumindest in Deutschland, fehlt, sind die öffentlichen Verkehrsmittel. Manchmal sind die Bahnsteige zu hoch und der Abstand zum aussteigen beträgt gefühlt einen Meter. Bei der Bahn zum Beispiel, kann ich mit dem Rollstuhl nicht einmal einfach einsteigen. Ich muss immer einen Service anmelden, um überhaupt in die Bahn hinein zu kommen. Da würde ich mir wünschen, dass die Bahn in Zukunft barrierefreie Züge nutzt.

 

Simone spricht hier ein wichtiges Thema an, denn egal ob im Rollstuhl, mit Kinderwagen, Rollator oder einfach massig viel Gepäck macht die Bahn es ihren Kunden ganz schön schwer. Neben nicht vorhandenen oder kaputten Aufzügen, gibt es eben keine Einstiegsrampen, die Gänge in den Zügen sind häufig zu eng, die Hotline des Mobilitätsservices ist kostenpflichtig.

 

Zum Abschluss hast du vielleicht noch einen Tipp, den ich und viele unserer Leser beherzigen können. Was können wir alle im Umgang mit einem Reisenden im Rollstuhl oder mit Rollstuhlfahrern in unserem Alltag beachten?

Das ist für jeden Menschen im Rollstuhl individuell. Ich lasse mir zum Beispiel sehr gerne helfen. Aber ich kenne auch Rollstuhlfahrer, die das absolut gar nicht mögen, wenn sie angesprochen werden, ob sie Hilfe brauchen. Ich finde es gut wenn Menschen ihre Hilfe anbieten wollen, das sollte auch weiter geschehen. Wenn man dann eine etwas unwirsche Antwort von einem Rollstuhlfahrer bekommt, hilft es vielleicht schon, darauf nicht blöd zu reagieren. Wahrscheinlich braucht es einfach von allem etwas, damit jeder zufrieden ist.

 

Simone findet ihr bei Instagram, auf YouTube oder direkt auf ihrem Blog https://www.planespoken.net.

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Kommentare: 1
  • #1

    Marina (Montag, 21 März 2022)

    Simone ist so inspirierend. Andere würden nur mit ihrem Schicksal hadern und das meine ich gar nicht despektierlich, denn ich sitze nicht im Rollstuhl und kann darüber nicht urteilen aber die Simone strahlt schon sehr viele positive Vibes aus.

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